Au-pair zu werden lohnt sich!

Au-pair Linda aus Deutschland hat äußere und innere Widerstände überwunden, um als Au-pair nach Kanada zu gehen. Warum diese Erfahrung für sie nicht nur überwältigend ist, sondern ihre Reiselust in weitere Länder weckt?  

Linda hatte eine grandiose Zeit in Kanada

Warum Kanada?

Ich bin nach Kanada gegangen, weil meine Eltern dagegen waren. Davor hatte ich keine Idee, in welches Land ich eigentlich möchte, englisch- oder französischsprachig sollte es sein. Schließlich wollte ich mich in den nächsten Monaten nicht nur mit meinen Händen verständlich machen. Meine Eltern fanden, Kanada wäre viel zu weit weg, also war es auf einmal schon immer mein Traum gewesen, nach der Schule nach Kanada zu gehen.

Meine Vorstellung von Kanada: Viel Natur und nette Menschen

Schnell fand ich eine Familie in der Nähe von Toronto, wir tauschten viele lange E-Mails aus und ich war mir ganz sicher: Ich habe die perfekte Familie und das perfekte Land gefunden. Von Kanada hatte ich eine klare Vorstellung: Viele Seen, tolle Landschaft, unglaublich nette Menschen und viele Holzfäller.

Einen Abend vorher geht’s ans Packen

Ziemlich bald war es dann soweit, meine Abschiedsparty stand vor der Tür und meine Freunde verabschiedeten sich mit „lustigen“ Sprüchen. „Jaja, in Kanada ist kana da“ und „Angel dir ´nen heißen Holzfäller“ bekam ich im 5-Minuten-Takt zu hören. Einen Tag vor meiner Reise ins Ungewisse startete ich dann das Packen, im Nachhinein würde ich sagen, hätte ich mal lieber früher angefangen, denn das Vorurteil „In Kanada ist es immer kalt“ erwies sich als falsch und meine ganzen Wollpullis im Herbst als nicht tragbar.

Eine Freundin begleitet mich im Flugzeug

Und dann ging es auch schon los: Eine Freundin, die ebenfalls Au-pair in Kanada werden wollte, kam mit mir und wir verbrachten den Flug damit, jeden Menschen in unserer Reichweite zu nerven. Damit konnten wir gleich einmal unser Englisch und Französisch üben, denn Deutsch sprach so gut wie keiner. Nach 8 Stunden im Flugzeug sollten wir dieses dann verlassen, und mich überkam die absolute Panik.

Mein persönliches Welcome Schild macht mir Mut

Ich klammerte mich an meiner Freundin fest und wiederholte immer wieder denselben Satz „Ich geh hier nicht raus. Ich geh hier nicht raus“. Irgendwann schaffte sie es dann aber doch, mich aus dem Flugzeug zu zerren, wir passierten den Immigration Officer. Und auf einmal sollte ich alleine, nur mit einem Koffer ausgerüstet, aus dem Flughafen raus und meine Gastfamilie treffen. In meinem ganzen Leben fand ich noch keinen Moment so schlimm wie diesen. Aber kaum war ich draußen, sah ich schon das „Welcome Linda Andrews“ Schild und meine lachende und winkende Gastmutter.

Im Auto lerne ich mein Gastkind kennen

Im Nachhinein ist mir klar, dass es im Leben tausend schlimmere Sachen gibt als neue Leute kennenzulernen. Ich wurde also herzlich empfangen und traf dann im Auto auch gleich meinen Gastvater und den kleinen Jungen, Corwin (3 Jahre) auf den ich aufpassen sollte. Er war noch ein wenig schüchtern und mir wurde klar, dass ich eigentlich überhaupt keine Ahnung hatte, wie das Leben eines Dreijährigen so aussieht.

Städte und Entfernungen – anders als gewohnt

Das nächste, was mir bewusst wurde ist, dass Kanada nicht nur aus grünen Wiesen, Seen und Wald besteht…es gibt STÄDTE. In einer von diesen wohnte ich: Pickering, ein Vorort von Toronto, bestehend aus ganz vielen Häusern, die alle gleich aussehen und einer Mall, das „Stadtzentrum“. Ich konnte es nicht glauben, dass es wirklich Städte ohne Innenstadt gibt, als Europäerin war ich anderes gewohnt. Noch befremdlicher fand ich, dass man ohne Auto stundenlang laufen muss, um irgendwo anzukommen.

Chinesisch frühstücken – ein Experiment

Am nächsten Tag ging ich mit meiner Gastfamilie erst einmal chinesisch frühstücken. Ich dachte ja, ich wäre ein offener Mensch und ich finde so gut wie alles toll und aufregend, aber chinesisch frühstücken würde ich keinem Menschen empfehlen, der nicht vollkommen verrückt ist. Nachdem meine Gastfamilie mich dazu überreden wollte, eine kleine Tentakel zu essen, zusammen mit einer seltsam schmeckenden Suppe und Reis, Fleisch und Fisch, wollte ich nur noch eins: Raus aus diesem komischen Land.

Urlaub im Familien Cottage

Einen Tag später fuhren wir in das Cottage meiner Gastfamilie, wieder ein neuer Wohnort und jetzt war ich auf engstem Raum mit vier Menschen, die ich überhaupt nicht kannte. Dafür bekam ich endlich meine schöne Natur: Jede Menge Wald und ein toller, einsamer See: Ich war in Kanada. Nachdem ich keine Ahnung hatte, was ich mit einem Dreijährigen, der mit jedem anderen außer mit mir spielen wollte, tun sollte, verbrachte ich meine Zeit damit, mich mit der Familie anzufreunden.

Meine Gastfamilie hilft übers Heimweh hinweg

Sie bestand aus meiner Gastmutter, ihrem Mann und Ken, der Bruder meiner Gastmutter, der in der Zeit, in der ich da war, nicht arbeitete, weil er erstmal das Leben genießen wollte. Ken und ich kamen gleich super aus, wir gingen zusammen Kanufahren und ich war mehr damit beschäftigt, das Kanu zu kentern, als ihm beim paddeln zu unterstützen. Er war es, der mir Mut machte...ging es mir schlecht, backte er mir einfach Kekse.

Kanadisches Essen ist unglaublich lecker!

So verging mein Heimweh ziemlich schnell und außerdem merkte ich im Cottage noch: Kanadisches Essen ist das Beste, was ich je gesessen habe. Da in Kanada Menschen aus vielen verschiedenen Kulturen zusammen leben, gibt es auch Essen aus tausend verschiedenen Kulturen: Einfach unglaublich lecker.

Sehen, was ich habe und nicht, was mir fehlt

Nach der Woche im Cottage konnte ich mir schon besser vorstellen, es hier ein halbes Jahr auszuhalten und so erschien mir selbst Pickering mit all den gleichen Häusern nicht mehr ganz so schlimm. Es stellte sich dann heraus, dass ich keinen Sprachkurs besuchen konnte, weil mein Englisch für den, der angeboten wurde, zu gut war und dass ich um irgendwas zu machen, immer eine Stunde laufen musste, aber ich fing an zu begreifen: Man ist nur dann glücklich im Leben, wenn man glücklich sein will. Und dann kann man alles schaffen.

Aufgaben: Spielen mit Corwin und den Hund spazieren führen

Ich lebte mich also in den Alltag meiner Familie ein. Wie sehr ich es jetzt vermisse, um 8 Uhr morgens mit den Worten „Wake up, Linda, you can do it! It’s cuddle time!!!“ geweckt zu werden, gefolgt von einem kleinen Dreijährigen der auf mich springt und versucht, mich durchzukitzeln. Anschließend lasen wir in meinem Bett ein Buch oder schauten uns ein Video an, bis es dann Anzieh- und Frühstückszeit war. Meine einzige Aufgabe war, mit dem Hund spazieren zu gehen und mit Corwin zu spielen.

Dazu gehört auch sieben Stunden am Tag mit Zügen spielen

Das klingt nach wenig Arbeit, kann aber ziemlich langweilig werden. Manchmal, wenn ich sieben Stunden lang nur mit Zügen gespielt habe oder er den ganzen Tag schlechte Laune hatte, hab ich mir gedacht: Wieso bin ich nur hierher gekommen? Aber dann umarmte er mich und sagt „Linda, I love you“ und alles war vergessen.

Ich gehe aktiv auf die Suche nach Freunden

Nach einem Monat dachte ich mir: So, Freunde wären mal nicht schlecht. Da in Pickering so gut wie keine jungen Leute waren, stürzte ich mich auf die ersten zwei, die ich auf der Straße sah. Ich sagte einfach „Wow, you’re the first young people I’ve seen here“ und schon klärten sie sich dazu bereit, mir Freunde zu suchen.

Willst du mit nach Vancouver?

Den ersten traf ich gleich nach ein paar Tagen und fand ihn total seltsam. Er ging nicht zur Uni, sondern designte Schuhe, schrieb an einem Buch und war überzeugter Christ. Überzeugter, als ich je einen anderen Menschen gesehen hatte. Er wurde mein bester Freund. Eine Woche später fragte ich ihn: „Hast du Lust, mit mir nach Vancouver zu fahren? Drei Tage dauert das mit dem Bus.“ Und er sagte ja. Einfach so.

Diese Busfahrt: eine super Idee!

Zwei Monate später saßen wir dann in einem Bus mit sehr seltsamen Leuten (und wir dachten am Anfang noch, wir wären die Verrückten), die aus unterschiedlichen Beweggründen weg wollten aus Toronto. Viele von ihnen wurden nach ein paar Tagen unsere Freunde. Diese Busfahrt war eines der tollsten Dinge, die ich in meinem Leben gemacht habe.

Mir geht es richtig gut

Wir sahen so viel von Kanada, wir schliefen auf engstem Raum und man hatte drei Tage lang einfach nichts zu tun, konnten so viel schlafen, wie man wollte, sich unterhalten, einfach mal über das Leben nachdenken. Natürlich erklärte mich meine Gastfamilie für verrückt, meine Eltern machten sich extreme Sorgen und alle meine Freunde fanden mich cool. Drei Tage später waren wir dann in Vancouver.

Reisefieber: Wir besuchen Montreal

Dort besuchten wir meine Freundin, die mit mir nach Kanada geflogen war und meine beste Freundin. Vancouver ist eine wunderschöne Stadt, also hatten wir eine tolle Zeit, bevor wir dann wieder drei Tage mit dem Bus nach Hause fahren mussten. Jetzt hatte uns das Reisefieber gepackt, also ging es einen Monat später noch mal weg: Nach Montreal. Auch diese Reise war toll, jetzt konnte ich endlich mein Französisch üben, allerdings ist es schwierig, bei minus 25 Grad eine Stadt zu besichtigen.

Keine Angst vor neuen Menschen und ungewohntem Essen

Meine Zeit in Kanada ging so schnell vorbei, ich habe tolle Menschen getroffen, bin unglaublich viel gelaufen und habe sehr viel gelernt: Dass man keine Angst vor neuen Menschen, Essen und Situationen haben muss. Dass man, wenn man mit guter Laune an eine Sache herangeht, auch Spaß hat. Dass man, auch auf sich selbst gestellt, tolle Sachen erleben kann.

Wieder zuhause: Wie toll es ist, alle wieder umarmen zu können

Kaum war ich wieder zu Hause, wurde ich von so vielen meiner Freunde empfangen und alle haben sich wie wahnsinnig gefreut, mich wiederzusehen. Wie toll es ist, alle wieder umarmen zu können. Erst dadurch, dass ich weggegangen bin, habe ich viele Dinge zu schätzen gelernt: Einfach mal zu meinen Großeltern fahren zu können. In meinem eigenen Bett zu schlafen. Mein Lieblingsessen gekocht zu bekommen.

Vier Wochen zu Hause, dann auf ins neue Abenteuer!

Ich war jetzt vier Wochen zu Hause. In zwei Tagen starte ich in mein nächstes Abenteuer: Vier Monate in Lausanne. Meine Freunde verstehen nicht, warum ich wieder weggehe. Ich gerade auch nicht, weil ich unglaublich viel Angst habe. Aber ich kann jedem nur sagen: Überwindet diese Angst, denn es lohnt sich wirklich!