Ich habe in meiner Zeit als Au-pair in den USA unendlich viel gelernt

Ann-Kristin war von September 2001 bis Juli 2002 Au-pair in Chicago, USA. Sie hat auf zwei Kinder aufgepasst, einen Jungen und ein Mädchen. Die folgende Geschichte handelt von ihren Erfahrungen während ihres Aufenthalts. 

Ann Kristin in San Francisco Bay

Mein Jahr als Au-pair in den USA

Es stand für mich immer fest, dass ich nach dem Abitur für eine gewisse Zeit ins Ausland gehen würde.

Warum in die USA?

 Zuerst wollte ich unbedingt nach Neuseeland, doch leider war es damals  nicht so einfach Gastfamilien in Neuseeland zu finden. Als dann das Angebot ins Haus flatterte, für eine Gastfamilie in den USA, genauer in Chicago, zu arbeiten, habe ich mich nach kurzem Überlegen für die USA entschieden. Dieses Land war also nicht mein absolutes Traumland, aber es gab einige wesentliche Faktoren, die mich damals dazu bewogen haben, genau diese Gastfamilie zu nehmen: Die Kinder in der Familie waren damals 8 und 10 Jahre alt und die Familie wohnte direkt in Chicago (ich komme aus einem kleinen Ort in Norddeutschland und wollte endlich mal das Leben in der Großstadt ausprobieren). Mir war es immer sehr wichtig, dass ich auch in der Zeit als Au-pair ein College besuchen kann und in einer Stadt wie Chicago mit zwei bereits recht großen Kindern schienen mir die Bedingungen dafür ideal. Meine Gastfamilie bot mir direkt an, mich an einem bestimmten College anzumelden und Kontakte zu den ehemaligen Au-pairs der Familie herzustellen. Mich hat es damals sehr beruhigt zu wissen, dass ich das elfte Au-pair meiner Gastfamilie sein würde. Somit waren auch die Kinder der Gastfamilie daran gewöhnt, dass jedes Jahr ein neues Au-pair bei ihnen lebte. Meine Gastmutter war Deutsche, mein Gastvater Amerikaner, die Kinder gingen aber auf eine französische Schule. Ich habe diese Situation als ideal empfunden, denn ich konnte auf diese Weise mein  Englisch und gleichzeitig auch mein Französisch verbessern.

Mein typischer Tagesablauf als Au-pair

Ich weckte die Kinder morgens um 7 Uhr. Wir frühstückten gemeinsam, ich bereitete ihnen die Lunchbox für die Schule vor und fuhr sie dann mit dem Auto zur Schule. Da meine Gastkinder bis 15 Uhr in der Schule waren, hatte ich den Vormittag und Mittag frei.  Anfangs nutzte ich die Zeit, um mich einzuleben, mir die Stadt anzuschauen und erste Kontakte zu knüpfen. Durch die ehemaligen Au-pairs meiner Gastfamile wusste meine Gastmutter in welchen Haushalten in der Gegend auch Au-pairs lebten und ich rief einfach dort an.
Am Nachmittag habe ich die Kinder von der Schule abgeholt. Meisten hatten sie noch Sport und/oder Musikunterricht, wir waren also viel mit dem Auto unterwegs.
Abends um 18 Uhr kamen meine Gasteltern meistens wieder von der Arbeit nach Hause und bereiteten das Abendessen vor. Wenn ich wollte, wurde für mich mit gekocht, wenn ich etwas Anderes vorhatte, war es auch kein Problem. Am Wochenende hatte ich immer frei und konnte mit meinen Freunden etwas unternehmen.
Ich fand es ganz toll, dass es in meiner Gastfamilie einen Familienkalender gab, in dem die Termine aller (also auch meine) eingetragen wurden. So wusste ich mindestens eine Woche im Voraus, ob ich mal einen Abend oder am Wochenende zuhause bleiben sollte. Wenn ich spontan mal mithelfen sollte, habe ich das getan. Schließlich passierte es oft genug, dass ich selbst ganz kurzfristig mal einen freien Abend oder ein freies Wochenende haben wollte.

Essen

Ich hatte Glück, dass mein Gastvater ein guter Koch war und mir das Essen der Familie immer geschmeckt hat. Das ist aber natürlich nicht die Regel. Eine meiner Freundinnen kam regelmäßig zu uns zum Essen, weil es bei ihrer Gastfamilie nur selten frisch zubereitete Mahlzeiten gab.  Auch hier hilft nur eine gute Absprache im Voraus und dass man, auch wenn es mal nicht so gut schmecken sollte, dies nicht unhöflich herausposaunt. Von makrobiotisch über vegetarisch bis jeden Tag Fast Food ist nun mal alles möglich. Das sollte auf jeden Fall mit der Gastfamilie vorher besprochen werden. Man muss auch damit rechnen, vielleicht in einer jüdischen Familie zu kochen und dabei darauf zu achten, für bestimmte Speisen nur bestimmte Töpfe, Geschirr etc. zu benutzen.

Freizeit/Urlaub

Noch nie habe ich so leicht neue Leute kennengelernt wie in der Zeit als Au-pair. Andere Au-pairs zu kontaktieren war nie ein Problem. Wir waren schließlich alle in derselben Situation, konnten uns oft gegenseitig weiterhelfen und fühlten uns nicht ganz so alleine. Die Stadt Chicago bot natürlich unbegrenzte Möglichkeiten für die Freizeitgestaltung und meine Gastfamilie hat mich, wann immer ich wollte, zu ihren Aktivitäten eingeladen. So war ich mit meiner Gastfamilie im Urlaub und erhielt immer wieder Zuschüsse für meine vielen Reisen zwischendurch. Die Großzügigkeit meiner Gastfamilie hätte ich so nicht erwartet und auch nicht als selbstverständlich betrachtet. Ich habe allerdings alle Möglichkeiten genutzt und meine Zeit sehr genossen. Ganz selbstverständlich war ich Thanksgiving beim Familientreffen dabei und egal ob Weihnachten, runde Geburtstage oder « family reunion », ich war immer mit eingeladen. Als ich in New York war, konnte ich für ein paar Tage bei der Schwester meines Gastvaters wohnen und auch deren Familie hat mich herzlich willkommen geheißen. Es ist ganz wichtig, dass man rechtzeitig bespricht, wann man gerne seinen Urlaub als Au-pair nehmen möchte. In den USA hat man 2 Wochen, das bedeutet aber nicht zwingend, dass man diese 2 Wochen am Stück nehmen kann. In meiner Gastfamilie war alles immer sehr gut organisiert und dadurch wusste ich schon früh, wann ich frei haben würde und konnte daher meinen eigenen Urlaub gut planen.

College/Sprachkurs

Am Anfang meiner Zeit in Chicago habe ich zuerst abends an einem Italienischkurs teilgenommen, später dann Kurse am örtlichen Community-College belegt und am Ende meines Aufenthalts den TOEFL- Test abgelegt. Meine Gastfamilie hat sämtliche Kosten übernommen und mich unterstützt. Meine Essays fürs College wurden Korrektur gelesen, meine Referat mit mir geübt und durch meine deutschsprachige Gastmutter konnte auch das ein oder andere Vokabelproblem schnell gelöst werden.

Autofahren

Ich kann wohl behaupten, dass ich während meiner Zeit in Chicago erst richtig Autofahren gelernt habe. Wenn jemand also eher unsicher beim Autofahren ist und sich nicht zutraut in einem fremden Land Auto zu fahren, dann sollte man dies der Gastfamilie unbedingt vorher sagen und im schlimmsten Fall dann doch nach einer anderen Familie suchen. Au-pairs nehmen in die USA erst einmal ihren internationalen Führerschein mit. Danach kann man dann ganz schnell und unkompliziert eine Prüfung für den amerikanischen Führerschein machen.

Warum überhaupt Au-pair?

Bevor ich als Au-pair ins Ausland ging, gab es schon einige Leute, die meinten, dass man als Au-pair immer nur an einem Ort festsitzt und nicht so richtig unabhängig ist. Ich habe es als beruhigend empfunden, dass ich ein Zuhause und eine Art Familie hatte und trotzdem unabhängig mit meinen neuen Freunden übers Wochenende zu unseren Kurztrips aufbrechen konnte. Mein Taschengeld habe ich direkt in Flugtickets und Hotels umgesetzt, dafür habe ich in meiner Zeit als Au-pair auch viele verschiedene Gegenden der USA erkunden können. Das Vorurteil, dass man als Au-pair also nur an einem Ort festsitzt, kann ich daher nicht bestätigen. Andere meinten wiederum, dass es Zeitverschwendung sei als  Au-pair zu arbeiten. Stattdessen sollte ich doch lieber direkt an die Uni gehen. Ich hätte nach dem Abitur aber gar nicht gewusst, was ich studieren sollte und meinen College-Besuch konnte ich mir bei meiner Rückkehr nach Deutschland von meiner Uni anerkennen lassen. Und wer spricht bei den schönsten Erinnerungen, die man bisher in seinem Leben machen durfte, von Zeitverschwendung? Ich habe in meiner Zeit als Au-pair unendlich viel gelernt: Fremdsprachen, Geduld, Toleranz, Flexibilität und ein Wissen über das Leben in einem fremden Land, das ich mir niemals mithilfe von Büchern, Filmen oder Urlaubsreisen hätte aneignen können.
Einen großen Anteil daran hatte natürlich meine Gastfamilie. Mit ihrem Verständnis für meine Situation, ihrer Offenheit und ihrem entspannten Umgang wurde mir mein Dasein als Au-pair sehr erleichtert. Bei meinen Freundinnen habe ich erlebt, dass all dies nicht selbstverständlich ist. Gemeinsam haben wir aber versucht uns zu unterstützen und in Krisenzeiten aufzubauen. Die Freundschaften, die ich in Chicago geschlossen habe, sind mir heute noch sehr wichtig. Auch wenn wir aus verschiedenen Ländern kommen und uns nicht regelmäßig sehen können, war doch die Zeit in Chicago für uns so prägend, dass wir den Kontakt zueinander nicht abreißen lassen wollen. Mit meiner Gastfamilie habe ich mindestens einmal im Jahr noch Kontakt und ich hoffe, dass das auch in Zukunft so bleibt.