Annika in Mäntyharju: Für mich ist es DAS Finnland.

Im Juli 2009 verließ Annika Deutschland, um in Skandinavien als Au-pair zu arbeiten. Ein Jahr lang lebte sie bei einer finnischen Gastfamilie in einem Dorf ca. 200 km nordöstlich von Helsinki. Sie erzählt in ihrem Bericht von ihren Erfahrungen als Au-pair in Finnland.

Annika und ihre Gastkinder

Finnland Juli 2009 - Juli 2010

Finnland reizte mich schon immer. Das Land, die Natur, die Sprache, die Menschen und ihre Mentalität. Im Juli 2009 machte ich also meinen Traum wahr und zog los, um im hohen Norden Au-pair zu werden. Mich verschlug es in ein 7000-Seelen-Dorf, 200 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Helsinki. Für mich ist es DAS Finnland. Nicht wie Helsinki, Turku oder Tampere, die im Grunde, bis auf die Sprache, kaum von anderen europäischen Städten zu unterscheiden sind. Dort ist man mitten drin in der berühmten finnischen Natur mit Badeseen direkt vor der Haustür. Für Menschen, die Großstadttrubel brauchen, ist es wahrlich das falsche, aber wenn man die Natur und die Ruhe mag, dann ist man dort genau richtig.

Gastmutter wird zur Freundin, Schwester und Ersatzmama

4 Monate tiefster Winter, mit über einem Meter Schnee, deprimierend wenig hellen Stunden und stetig unter null Grad (die niedrigste Temperatur, die ich erlebte, waren -35 Grad Celsius) stehen im extremen Gegensatz zum finnischen Sommer mit bis zu 19 Sonnenstunden und angenehmen, nicht zu heißen Temperaturen (vom Rekordsommer 2010 jetzt mal abgesehen). Doch um mal zum Wesentlichen zu kommen: die Familie. Im Nachhinein habe ich von anderen Au-pairs so viele Schauergeschichten gehört, von Sklavenarbeit über Mobbing von der Gastmutter bis hin zu schlagenden Kindern, dass ich mich kaum mehr trauen würde, es nochmal zu probieren. ;)

Ich kann allerdings aus eigener Erfahrung sagen, dass es auch ganz anders geht. Mit meiner Familie hier hatte ich wohl wirklich mordsmäßiges Glück. Meine Gastmutter (32) ist zu einer Mischung aus bester Freundin, großer Schwester und Ersatzmama geworden. Die Mädels, die ich betreute (6 und 9 Jahre), sind mehr kleine Schwestern als "Au-pair-Kinder" und - nunja, mein Gastvater (38) ist der typische Finne. Er redet kaum, erst recht nicht in der Zeit, in der wir noch Englisch sprachen, aber auch auf finnisch und nur dann, wenn unbedingt nötig. Wie ich das Verhältnis zu ihm beschreiben soll, weiß ich nicht, eben dadurch, dass wir nie wirkliche Gespräche führten. Wir waren uns aber auch nicht irgendwie fremd.

Finnisch ist schwer, aber nach einem Jahr verstehe ich fast alles

Ich wurde von Anfang an als gleichwertiges Familienmitglied gesehen und mich nie als "Putzfrau" oder "Arbeiterin" gefühlt. Auch nach meinen eigentlichen Arbeitszeiten habe ich regelmäßig noch mit den Kindern gespielt, wenn ihnen langweilig war oder habe die Familie zu Besuchen oder Ausflügen begleitet. Zum Teil war es schon fast so, dass meine Gastmutter eingeschnappt war, wenn ich mich entschied, nicht mit ihnen in den Urlaub zu fahren oder ähnliches. Auch meine größte Angst, nämlich die Sprache, stellte sich recht schnell als unbegründet heraus. Vielleicht liegt es daran, dass ich ohnehin schnell Sprachen lerne, denn Finnisch ist nicht umsonst mit seinen 14+1 Fällen die schwerste Sprache Europas. Aber nach einem Jahr bin ich, wenn auch noch mit viiiielen Fehlern und noch mehr fehlenden Wörtern, doch ganz gut in der Lage, mich zu verständigen und verstehen tu ich 95 Prozent von dem, was gesprochen wird.

Ich musste mit den Mädchen auch von Anfang an Finnisch sprechen, da sie nichts anderes können (obwohl die Große seit drei Jahren Englisch in der Schule hat). Ansonsten können Finnen sehr gut Englisch, auch wenn sie am Anfang erstmal ausnahmslos ALLE behaupten, sie könnten es GAR NICHT. Trotzdem hab ich ab Anfang Dezember, also nach gut 4 Monaten, angefangen, mit allen nur noch finnisch zu sprechen, und das ist vermutlich auch der Grund, warum ich es jetzt so gut kann. So sehr ich die Familie liebe und vermissen werde, so froh bin ich jetzt in den letzten Tagen, dass es bald vorbei ist.

Es gab auch genug Dinge, die mich an den Rand des Nervenzusammenbruchs brachten. Hauptsächlich im Zusammenhang mit der Erziehung der Kinder: Man schreit die Eltern an, beschimpft sie, wird von vorn bis hinten bedient, schmeißt alles in die Ecke, wo man geht und steht, ohne irgendwas hinter sich aufzuräumen und wenn man nicht sofort bekommt, was man will, dann eben spätestens, nachdem man sich heulend auf den Boden geschmissen und den Eltern an den Kopf geworfen hat, wie dumm sie doch sind. Ein ums andere Mal habe ich kopfschüttelnd zugesehen, wie meine Gasteltern derartige Reaktionen über sich ergehen ließen und schließlich sogar nachgaben. Ich habe mir in Gedanken ausgemalt, wie viel Spaß die beiden haben, wenn die Mädels erstmal in der Pubertät sind.

Trotzdem nehme ich nach diesem Jahr hauptsächlich positive Erfahrungen mit: Schießen mit einem echten Jagdgewehr (nur auf eine Zielscheibe natürlich), Schneescooter fahren, mit dem Auto über einen gefrorenen See flitzen, zwei Runden in einem echten Rallye-Auto neben meinem Gastvater (er und mein Gastonkel sind Rallyefahrer), das unvergessliche Erlebnis einer echten finnischen Mittsommernacht und der missglückte Versuch, Wasserski zu fahren. Von finnischen Spezialitäten und vor allem finnischer Sauna natürlich mal ganz abgesehen.

Ich bleibe zum Studium hier

Der Aufenthalt hier hat mich um vieles selbstbewusster und selbstständiger gemacht, mir gezeigt, was ich bei meinen Kindern in der Erziehung später anders machen werde und neben vielen neuen Freunden auch eine zweite Familie gegeben, zu der ich hoffentlich und wahrscheinlich noch in vielen Jahren Kontakt haben werde.

Ja, ich werde sie vermissen, die Gespräche und das Herumalbern mit meiner Gastmutter, das Schweigen und der überraschend kommende, erfrischende Humor meines Gastvaters, das Lachen, die verrückten Ideen und das Zusammensein mit meinen "Gören", das vernachlässigte Kaninchen "Vili", den nervig-zuckersüßen finnischen Lapp(schoß)hund "Chili" und meinen größten Schatz - den allesfressenden Kater "Tiuku". Aber ich bin ja nicht arg weit weg, denn von Finnland habe ich noch lang nicht genug und bleibe deshalb erstmal für die kommenden Jahre zum Studium hier. :) :)

Jedenfalls kann ich es jedem, der mit dem Gedanken spielt, nur empfehlen, sich in das "Abenteuer Au-pair" zu stürzen. Schief gehen kann es zwar immer, doch es können sich auch Freundschaften fürs Leben entwickeln.